Einfach machen lassen – Laisse-faire erziehen
Wie? Einfach machen lassen? Die Kinder entscheiden lassen? Ohne Regeln und Vorgaben? Ohne Strafen oder Sanktionen? Ohne Verbote und Drohungen? Kann das wirklich funktionieren oder hört sich das Konzept des Laisse-faire-Erziehungsstil einfach nur gut an und ist in der Praxis gar nicht umsetzbar? Lässt sich der Familienalltag tatsächlich so praktizieren, dass alle Familienmitglieder zufrieden sind und ein gutes Miteinander möglich ist?
Bitte übersetzen!
Zunächst einmal: was bitte heißt Laisse-faire überhaupt? Fragt man Google, wird es wörtlich mit “machen lassen” übersetzt. Gemeint ist damit ein passiver Erziehungsstil, bei dem die Eltern ihre Sprösslinge im wahrsten Sinne des Wortes einfach machen lassen. Sprich, die Kinder haben es selbst in der Hand, ihren Tag zu gestalten. Sie dürfen frei wählen, wo sie spielen möchten. Sie suchen aus, was sie anziehen möchten, wann sie ihr Zimmer aufräumen, womit sie sich beschäftigen wollen. Ohne Vorgabe der Eltern, ohne Anleitung auswählen und entscheiden. Ein Traum für jedes Kind, könnte man meinen. Wer hat in seiner Kindheit nicht auch davon geträumt, einfach selbst bestimmen zu können, ohne dass Mama oder Papa reinquatschen oder dass man mitten im Spiel unterbrochen wird, um mal wieder Ordnung zu machen zu müssen?
Kreativität und Eigenständigkeit fördern
Viele Eltern, die sich für einen Lockeren Erziehungsstil entscheiden, beschreiben ein Gefühl von Freiheit. Freiheit, weil sich das Kind eigenständig beschäftigt und den ständigen Input von den Eltern gar nicht mehr benötigt. Es spielt selbstständig, darf alles nutzen, was ihm zur Verfügung steht und so seine eigene Kreativität entdecken und ausleben. Es darf sich selbst erleben, den Becher selbst mit dem Getränk fühlen, das Brot selber streichen – wenn etwas daneben geht, erfolgt keine Rüge oder Strafe. Die Eltern lassen mich machen – dieses Gefühl stärkt das Selbstbewusstsein ungemein. Kinder, die in den Alltag mit einbezogen werden und trotzdem wissen, wenn sie etwas nicht machen müssen, können sie jederzeit abbrechen, sind oftmals interessierter und lassen sich schneller motivieren, weil kein Zwang und keine Pflicht dahintersteht. Motivation aus Eigenantrieb, ein Pluspunkt beim Laisse-faire-erziehen.
Nur für die Großen?
Die freie Art des Erziehens ist keiner bestimmten Altersgruppe zuzuordnen. Ob Baby, Kleinkind, Kindergartenkind, Schulkind oder Teenager – Laisse-faire ist immer praktikabel. Das Baby darf sich und seine Umwelt mit allen Sinnen kennenlernen, begreifen, erkunden. Ob es nun mit dem Essen spielt, Alltagsgegenstände in den Mund nimmt, es darf einfach austesten. Für die Kleinkinder gilt dasselbe, sie können ihre Neugier stillen, wild und frei spielen, auch wenn es mal lauter wird. Bestraft wird nicht, höchstens eine Alternative gesucht oder erklärt, warum etwas nicht geht oder zum Beispiel gefährlich ist. Das Kind wird trotzdem zuhören und respektieren, was du ihm gerade vermitteln möchtest. Laissez-faire heißt nicht, dass kein Respekt vorhanden sein muss, denn nur damit kann der Familienalltag funktionieren. Nur die Rahmenbedingungen sind weicher und weniger strikt definiert als bei autoritären Erziehungsmodellen. Teenager und Schulkinder können sich in einem solchem Umfeld voll entfalten, ihre Launen ausleben und wissen, sie werden geliebt und vom Familiennetz aufgefangen, sollten sie über die Stränge schlagen. Besonders für die spätere Eigenständigkeit ist das ein gutes Training.
Erzogen oder verzogen?
Oftmals setzt man einen lockeren Erziehungsstil damit gleich, dass da wohl die Kinder die Hosen anhaben und Mama und Papa nichts zu melden haben. Respektlos, unmotiviert, faul, das verbinden viele mit diesem Erziehungskonzept. Muss nicht sein! Ebenso wie bei allen anderen Erziehungsrichtungen gibt es Familien, bei denen Laisse-faire wunderbar funktioniert. Alles läuft rund, die Familienmitglieder ziehen an einem Strang und jeder seinen Platz gefunden. Auch beim freien Erziehen gibt es Regeln, an die man sich halten sollte, aber es ist eben weniger eine ausformulierte Regel als ein einfacher, fest verankerter Grundsatzgedanke, der gar nicht mehr groß zur Sprache gebracht werden muss. Zum Beispiel räumt die Tochter den Tisch ab, der Bruder sortiert seine Kleidung in den Schrank und Mama sorgt dafür, dass die Betten aufgeschüttelt sind. Stressfrei, ohne Verteilung der Aufgaben – aber trotzdem weiß jeder, was für die Familie wichtig ist und nimmt Rücksicht. Man achtet mehr aufeinander und bemerkt die Gefühle – Streit um Nichtigkeiten fällt weg und schon ist der Familienalltag entspannt.
Das Richtige?
Einfach mal ausprobieren schadet nicht! Am besten testest du für dich und deine Familie, ob ein Leben ohne klare Vorgaben und das Durchtakten des Tages funktioniert. Vielleicht praktiziert ihr es aber schon längst und nun hat euer Familienmanagement einen klangvollen Namen! Ein bisschen den Druck und die Anforderungen an jeden herausnehmen und schon kann sich das Zusammenleben deutlich entspannen. Fast schon entschleunigen – wenn ich nicht einem festen Plan hinterher rennen muss, lässt sich der Tag viel bewusster leben und genießen. Ob der Tisch nun in drei Stunden abgewischt oder das Zimmer übermorgen sortiert wird – solange sich jeder in seinen Räumlichkeiten wohlfühlt und zufrieden ist, darf das einfach toleriert und beobachtet werden. Du als Elternteil darfst natürlich jederzeit helfen und unterstützen, wenn dich dein Kind aktiv anspricht. Aber einfach mal nicht einmischen und beobachten, was passiert, eröffnet eine völlig neue Perspektive! Oft ist man überrascht, was Kinder eigentlich schon von sich aus eigenständig erledigen und machen, auch ohne, dass man sie darauf hinweisen muss.
Probieren geht über studieren
Es gibt eine so große Auswahl an Erziehungsratgebern. Wer die alle lesen möchte, ist wohl die nächsten Jahre ausgelastet und beschäftigt. Die Essenz, die alle Varianten vereint, ist: jeder Mensch ist anders, jede Familie ist anders. Pauschal zu sagen, dass nur der eine Erziehungsstil zu mir passt, ist beinahe unmöglich. Jede Richtung bietet Möglichkeiten, Denkanstöße und Anregungen für ein harmonisches Miteinander. Aus jeder Erziehungsart kann etwas herausgezogen werden, was in dem Moment passend und wichtig für die Familie sein kann. Testen, immer wieder neues dazunehmen und alte Verhaltensmuster lockern oder verändern – das macht alle zufrieden und glücklich.